Prinzipiell können psychische Störungen in Folge eines Verkehrsunfalls auf unterschiedliche Weise behandelt werden. In der folgenden Übersicht finden Sie grundlegende Informationen zu ausgewählten Therapieansätzen, deren Wirksamkeit in verschiedenen klinischen Studien bestätigt worden ist. Abhängig von der behandelnden Institution werden einzelne oder alle der hier genannten Therapieformen und -richtungen angeboten.
In der ambulanten Versorgung ist Einzelpsychotherapie die Regel. Psychotherapie in Gruppen wird kaum angeboten. Im stationären Bereich hingegen ist die Gruppentherapie eine weitverbreitete Behandlungsform.
In einer Einzelpsychotherapie haben Patienten die Aufmerksamkeit des Therapeuten oder der Therapeutin die ganze Zeit über für sich allein. In dieser Therapieform kann sehr individuell und flexibel gearbeitet werden.
Eine Therapieeinheit umfasst 50 Minuten.
In einer Gruppenpsychotherapie erleben die Patientinnen und Patienten, dass andere Menschen an ähnlichen Problemen arbeiten wie sie selbst. Dies kann als sehr entlastend empfunden werden. Der Ablauf einer Gruppenpsychotherapie ist meist stärker vorstrukturiert. Eine Therapieeinheit umfasst 100 Minuten.
Analytische Psychotherapie
Die Psychoanalyse wurde von dem österreichischen Neurologen und Psychologen Sigmund Freud entwickelt und ist das weltweit wohl bekannteste Psychotherapieverfahren. Oberstes Ziel ist die Analyse unbewusster psychischer Prozesse und Konflikte. Dabei stehen besonders die frühen Phasen der individuellen Entwicklung und hier insbesondere die Kindheit im Fokus. In der Psychoanalyse wird davon ausgegangen, dass eine tiefgreifende Charakter- und Verhaltensänderung nur durch ein umfangreiches Verständnis der eigenen Entwicklungsgeschichte bewirkt werden kann1. Gleichzeitig sollen die Entstehungsbedingungen für eine Erkrankung identifiziert und den Betroffenen bewusst gemacht werden. So soll auch eine bessere Bearbeitung der aktuellen Probleme gelingen.
In der klassischen Psychoanalyse erfolgen meist drei bis fünf Sitzungen pro Woche wobei die Patientinnen und Patienten wahlweise auf einer Couch liegen oder auf einem Stuhl sitzen. Aufgrund des umfangreichen Behandlungszieles, nämlich der Persönlichkeitsveränderung, kann diese Psychotherapie mehrere Jahre dauern. Bei der Psychoanalyse handelt es sich um eine nicht-direktive Form der Psychotherapie. Das heißt, dass sich die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten eher zurückhaltend zeigen und keine konkreten Ratschläge oder Anleitungen zur Problemlösung geben. In heutigen Formen der Psychoanalyse nehmen Therapeuten aber durchaus auch eine aktivere Rolle ein.
Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
Die tiefenpsychologische Psychotherapie gehört zu den psychodynamisch begründeten Psychotherapieverfahren und basiert damit auf den Grundlagen der Psychoanalyse2. Auch hier sollen unbewusste psychische Prozesse und Konflikte identifiziert und durch Bewusstmachung für den therapeutischen Fortschritt genutzt werden3. Die Ursachen für das aktuelle Leid sollen zwar erörtert werden, sind aber von weniger zentraler Bedeutung als bei der Psychoanalyse. In der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie wird davon ausgegangen, dass die Einsicht in und das Verständnis für die Funktionsweise der eigenen Person zu einem besseren Umgang mit den aktuellen Problemen führt. Diese Einsicht geht dann mit einer Linderung der Symptome einher. Im Rahmen der Therapie wird ein Thema festgelegt, an dem in der Psychotherapie gearbeitet werden soll.
Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie findet im Sitzen und in der Regel mit einer Frequenz von einer Sitzung pro Woche statt. Die Dauer der Therapie variiert von sechs Monaten bis zu drei Jahren (max. 100 Therapiestunden).
(kognitive) Verhaltenstherapie
Die Verhaltenstherapie geht davon aus, dass aktuelle Probleme auf Verhaltensweisen basieren, die im Laufe des Lebens oder in einer Krisensituation erlernt wurden. Ziel ist es, diese zu identifizieren und durch neue, erfolgversprechendere Verhaltensweisen zu ersetzen4. Dabei werden nicht nur das Verhalten selbst, sondern auch Gedanken und Gefühle in der Therapie berücksichtigt und bearbeitet. Die Verhaltenstherapie ist ziel- und lösungsorientiert. In der Regel werden ein oder mehrere konkrete Ziele vereinbart, die mit Hilfe der Therapie erreicht werden sollen.
In der Regel erfolgt eine Sitzung pro Woche über wenige Monate. Verhaltenstherapien, die länger als ein Jahr dauern, sind selten - aber möglich (max. 80 Therapiestunden). Häufig werden „Hausaufgaben“ aufgegeben, die beim nächsten Termin gemeinsam besprochen werden. Insbesondere bei der Bewältigung von Ängsten oder Traumata sind verhaltensbasierte Therapieansätze oftmals die sinnvollste Methode5.
Systemische Therapie
Die Systemische Therapie wurde Anfang 2019 als viertes Richtlinienverfahren bestätigt. Dies ist ein wichtiger Schritt, um diese Therapieform zukünftig in der kassenfinanzierten Versorgung von psychisch erkrankten Erwachsenen anwenden zu können. Eine detaillierte Beschreibung des Verfahrens folgt in Kürze. Weitere Informationen finden Sie auf der Website der Bundespsychotherapeutenkammer „Wege in die Psychotherapie“.
Psychopharmaka sind Medikamente, die durch ihre Wirkweise in den Stoffwechsel des Gehirns eingreifen und dadurch einen Einfluss auf die psychische Verfassung haben. Aufgrund der unterschiedlichen chemischen Zusammensetzung unterscheiden sie sich in ihrer Wirkung, den möglichen Nebenwirkungen und dem Abhängigkeitsrisiko. Die Einnahme von Psychopharmaka sollte in der Regel in Kombination mit einer Psychotherapie und nur streng nach ärztlicher Anweisung erfolgen.
EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing)
Bei der EMDR handelt es sich um eine Psychotherapiemethode zur Behandlung von Traumafolgestörungen. Ziel ist es, die Informationsverarbeitung im Gehirn zu verändern und dadurch die Verarbeitung traumatischer Ereignisse zu erleichtern. Bei der klassischen Ausführung folgen Patienten mit den Augen den nach links und rechts wandernden Handbewegungen des Therapeuten oder der Therapeutin. Dies soll eine Stimulation beider Hirnhälften bewirkt. Gleichzeitig werden die Patientinnen und Patienten mit den für sie traumatischen Inhalten konfrontiert. Eingebettet in eine Psychotherapie soll diese Methode dabei helfen, die Belastungen nach einem Trauma zu reduzieren.
Expositionstraining
Die Expositionstherapie (auch Konfrontationstherapie, Reizkonfrontationstherapie) ist eine Technik der Verhaltenstherapie zur Behandlung von Ängsten (z. B. Fahrangstbewältigung). Betroffene werden gedanklich oder in der Realität mit Situationen/Dingen konfrontieren, vor denen sie Angst haben und die sie versuchen zu vermeiden (z. B. nachts Autofahren). Die Konfrontation wird durch die Therapeuten intensiv vorbereitet und während der Durchführung begleitet.
Zur Bewältigung von Ängsten beim Autofahren kann die Kooperation mit einer Fahrschule sinnvoll sein. Neuere Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Expositionstherapie auch mit Hilfe virtueller Realität (z. B. Pkw-Fahrsimulator, VR-Brille) erfolgreich durchgeführt werden kann.
Traumatherapie
Es gibt unterschiedliche Therapierichtungen wie Verhaltenstherapien, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapien oder analytische Psychotherapien, sowie verschiedene Verfahren, z. B. Expositionstherapien, Entspannungs- oder narrative Verfahren). Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten haben sich – je nach Ausbildung – in der Regel auf eine Therapierichtung und verschiedene Verfahren spezialisiert.
Bei psychischen Beschwerden infolge von Verkehrsunfällen kann es sinnvoll sein, sich durch Psychotherapeuten behandeln zu lassen, der über besondere Qualifikationen im Bereich Traumafolgestörungen verfügen.Viele der in Deutschland praktizierenden Traumatherapeutinnen und Traumatherapeuten haben allerdings keine Kassenzulassung.
Wenn Sie eine Psychotherapie machen möchten, fragen Sie nach, ob der Therapeut oder die Therapeutin Erfahrung im Bereich Traumafolgestörungen hat (Leitfaden Erstkontakt). Unterstützung finden Sie natürlich auch bei anderen Psychotherapeuten. Wichtig ist, dass Sie Vertrauen zu der Person haben und die „Chemie stimmt“.
1 Wittchen, H.-U., Hoyer, J., Fehm, L., Jacobi, F., & Junge, J. (2011). Klinisch-Psychologische und psychotherapeutische Verfahren im Überblick. In H.-U. Wittchen & J. Hoyer (Eds.), Klinische Psychologie & Psychotherapie (pp. 410–431). Heidelberg: Springer.
2 Wöller, W., & Kruse, J. (2012). Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Basisbuch und Praxisleitfaden. Stuttgart: Schattauer.
3 Wittchen, H.-U., Hoyer, J., Fehm, L., Jacobi, F., & Junge, J. (2011). Klinisch-Psychologische und psychotherapeutische Verfahren im Überblick. In H.-U. Wittchen & J. Hoyer (Eds.), Klinische Psychologie & Psychotherapie (pp. 410–431). Heidelberg: Springer.
3 Wöller, W., & Kruse, J. (2012). Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Basisbuch und Praxisleitfaden. Stuttgart: Schattauer.
4 Psychotherapie-Richtlinien (2009). Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses über die Durchführung der Psychotherapie (Psychotherpie-Richtlinie) in der Fassung vom 19. Februar 2009, veröffentlicht im Bundesanzeiger 2009; Nr.58: S. 1399, in Kraft getreten am 18. April 2009. Zuletzt geändert am 20. November 2020, veröffentlicht im Bundesanzeiger (BAnz AT 17.02.2021 B1), in Kraft getreten am 18. Februar 2021 https://www.g-ba.de/downloads/62-492-2400/PT-RL_2020-11-20_iK-2021-02-18.pdf
4 Wittchen, H.-U., Hoyer, J., Fehm, L., Jacobi, F., & Junge, J. (2011). Klinisch-Psychologische und psychotherapeutische Verfahren im Überblick. In H.-U. Wittchen & J. Hoyer (Eds.), Klinische Psychologie & Psychotherapie (pp. 410–431). Heidelberg: Springer.
5 Jacobi, F. (2011). Entwicklung und Beurteilung therapeutischer Interventionen. In H.-U. Wittchen & J. Hoyer (Eds.), Klinische Psychologie & Psychotherapie (pp. 554–579). Heidelberg: Springer.